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Über das Barfusslaufen

Wer mal ein wenig in meinen älteren Beiträgen gestöbert hat, weiß dass ich noch nicht wirklich lange das Laufen für mich wiederentdeckt (seit 2010) habe. Richtig konsequent bin ich eigentlich erst dabei, seit mir klargeworden ist, dass so etwas Grundnatürliches wie ein gesunder Laufstil für uns beschuhte Zivilisation eventuell von Grund auf neu gelernt werden muss. Das hat mir keine Ruhe gelassen, ich wollte einfach wissen was es damit auf sich hat.
Um es vorweg ganz klar zu machen: das nun folgende sind meine Erfahrungen. Ich bin nur ein ambitionierter Freizeitläufer, nichts weiter. Ich hab keinen Coach, strebe keine Spitzenzeiten an, sondern laufe alleine weil ich mich dabei wohlfühle.
Und auch wenn ich Barfuss laufen liebe, bin ich trotzdem auch sehr gerne mit (Minimal-)Schuhen unterwegs. Ich möchte niemanden überzeugen sein Laufverhalten zu ändern oder so, sondern einfach nur zusammenschreiben, was mich dazu gebracht hat die Schuhe öfter mal wegzulassen.

Anfangs war mir so etwas wie "guter Laufstil" völlig fremd. Laufen, das kann doch jeder. Muss halt nur Ausdauer her. Die gute Laufschuhberatung gibts dann im Fachhandel, also anziehen die Dinger und los gehts. Das kann gut gehen, bei mir gings auf Dauer nicht gut. Trotz wirklich guter und ausführlicher Beratung dämmerte mir Monate später: wenn der Fuss im Schuh so arg geführt, gestützt, gedämpft wird, das ist doch nicht natürlich?!
Aber wer erstmalig ca. 130€ für Laufschuhe ausgegeben hat, steht selbstverständlich auch erstmal relativ kritiklos zu seiner Entscheidung. Nicht falsch verstehen, die Beratung war wirklich gut, mit kleiner Laufbandanalyse, viele verschiedene Schuhtypen wurden probiert, Testläufe vor dem Laden, und so weiter. Und wahrscheinlich hätte ich mir niemals weiter Gedanken über Laufschuhe gemacht, wenn nicht irgendwann dieser kleine Zwischenfall mit dem umgeknickten Fuss und diese immer wiederkehrenden Knieschmerzen gewesen wären. Wieso knickte mein Fuss um? Wieso war das Fussgelenk nicht stark genug, diese kleine Unebenheit auszugleichen? Wo kamen denn diese nervigen Knieschmerzen immer wieder her? Wieso hab ich überhaupt Schmerzen wenn ich so einer tollen natürlichen Tätigkeit wie Laufen nachgehe?
Der neugierige Mensch in mir hat also angefangen zu lesen, Material gibts ja heutzutage genug, ihr wisst selbst was man da so aufstöbert. Das Problem war dann allerdings, es gibt zu viel Material. Zu viele unterschiedliche Erfahrungsberichte, zu viele Fachleute die ihre Meinung vertreten, zu viele alte Profis die ihre fundierte Erfahrung mitteilen und natürlich die unvermeindlichen Scharlatane und Trendsetter. Eine Essenz fand ich allerdings bei fast allen ernsthaften Beiträgen:
Laufen ist eine natürliche Bewegung, aber jeder Mensch ist anders.
Na toll. Heißt nix anderes als: fang mal ganz von vorne an und beobachte dich selbst.
Ganz von vorne heißt: Schuhe aus.

Wer mit dem Barfusslaufen beginnt, erlebt einiges. Zum Beispiel, laufen ist nicht gehen. Oder dass es wirklich unklug ist mit der Ferse aufzukommen, oder dass die Schritte automatisch kleiner werden, oder dass der nackte Fuss durchaus in der Lage ist kleinen nervigen Kieselsteinen ein wenig auszuweichen. Hauptsächlich aber kann man bei auch nur dezenter Übertreibung einen handfesten Muskelkater in den Waden erleben!

Die Erste Erkenntnis lautete also: Geduld!
Fang langsam an. Langsam! Also wirklich langsam! Sowohl von Geschwindigkeit, als auch vom Umfang. Wer das beherzigt, wird dranbleiben und die "Transformation" geniessen, weil die Erfolge von selbst kommen. Ich bin ein geduldiger Mensch, war also kein Problem.
Meine ersten ernstgemeinten Barfussläufe fanden nach meiner üblichen beschuhten Runde statt und gingen nie länger als 600 – 800 Meter. Und diese kurze Distanz dann auch wirklich sehr langsam mit etwa 6er Pace. Abwechselnd auf Wiese und härterem Untergrund, Asphalt und Sandwegen. Nicht nur die Muskulatur muss sich gewöhnen, sondern auch die Fuss-Sohle. Das ging etwa 3 Monate so, die Distanzen wurden stetig etwas länger (von 1,5 zu 4km), die Füsse gewöhnten sich langsam daran. Tempo hab ich da immer noch nicht gemacht, wozu auch?! Parallel dazu bin ich auf minimale Schuhe umgestiegen und hab dadurch sozusagen meinen Fortschritt kontrollieren können, also doppelt profitiert, da sich das Mittelfußlaufen automatisch durchsetzt.
Vorteil bei uns im Rheinland übrigens: die Winter sind oft mild, ich konnte also auch an vielen Tagen im Winter meine Schuhe weglassen, einfach barfuss laufen und meinen kleinen ungeschriebenen Trainingsplan fortsetzen.

Zweite Erkenntnis: so ein Fuss kann mehr ab als man glaubt!
Ob Temperatur oder Untergrund, man lernt sich da sehr schnell einzuschätzen. 3-4°C sind kein Problem, der Fuss berührt nur sehr kurz den Boden, da friert nix ab. Die Hornhaut passt sich an, wer glaubt Barfussläufer hätten dicke fette Hornhaut, der irrt. Es ist eher weniger geworden, dafür aber gleichmäßiger und geschmeidiger. Meine Fuss-Sohlen fühlen sich derzeit so gut an wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich gar nicht so sehr auf Fivefinger stehe. Die sind toll bei echt kaltem Wetter oder fiesem Untergrund, aber ich nutze die extrem selten, weil die Fuss-Sohle selbst keinen Bodenkontakt hat, den sie aber benötigt um sich selbst zu "pflegen".
Nach etwa 8 Monaten hatte es mich plötzlich gepackt, das Wetter war toll, die Laune auch und ich lief meine "übliche Abendrunde" (ca. 12km) komplett barfuss. Sogar fast in meiner normalen Zeit! Vorher war ich immer maximal 6km schuhlos unterwegs und diese auch nur mit vorherigem "Warmlaufen" in Schuhen.
Das war dann tatsächlich irgendwie ein Hochgefühl, totale Freiheit, Leichtfüßigkeit, wunderbar!

Dritte Erkenntnis: dranbleiben lohnt sich.
Die Barfuss-Einheiten sind mittlerweile einfach in meine Runden integriert. Nicht verbissen und auch nicht unbedingt nach Plan, sondern oft ist es so, dass meine Füsse nach einer bestimmten Zeit  "sagen": wir wollen raus aus den Schuhen, den Rest der Strecke bitte barfuss. Das heißt in Zahlen: etwa 15-20 Kilometer pro Woche ohne Schuhe, mehr ist es im Moment nicht.

Fazit bisher: Ich hab keine Schmerzen mehr im Knie, meine Waden haben "etwas" an Umfang gewonnen und Fersenlaufen gibt es schon lange nicht mehr. Meine Füsse sind wunderbar flexibel geworden und frieren äusserst selten, die Fussgelenke sind stark und stecken einiges an Unebenheiten einfach weg.
Der ganze Körper fühlt sich besser aufeinander abgestimmt an.

Für mich also offenbar der richtige Weg, vor allem bin ich gespannt wie es weitergeht.

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Kommentar

  1. Hi Oliver,

    das deckt sich in weiten Teilen mit meinen Erfahrungen.
    Bitte nicht falsch verstehen, wenn ich hier einen Link zur Essenz meiner Erfahrungen mitbringe, aber ich würde mich über Feedback – auch von Läufern, die den gleichen Weg gegangen sind – riesig freuen. Die Seiten sind alle kommentierbar, und ich habe mich bemüht, alle Aspekte (Wie anfangen? Was tun bei Verletzungen? etc.) anzusprechen, in der Hoffnung, dass zwar jeder seine eigenen Erfahrungen macht, aber um die ganz unnötigen Um- und Abwege dank einiger Tipps einen Bogen machen kann 🙂
    http://haasky.de/barfuss-laufschule/

    Ganz liebe Grüße
    Wolfgang

    • Hi Wolfgang

      gar kein Problem mit dem Link, bin ja auch seit langem Leser bei dir und in meiner Linkliste stehst du eh.
      Das gute an deinen Beiträgen ist, da bleiben kaum Fragen offen, deshalb gibts wohl auch wenig Kommentare 🙂
      Bin damals übrigens noch über deine alte Seite gestolpert und bereits interessiert hängen geblieben.

      -> Wer Wolfgangs Blog nicht kennt: bitte lesen, da gibts wirklich fundiertes Barfuss-Wissen ohne Ende.

      Liebe Grüße
      Oliver

  2. Hallo Oliver,

    auch mein Ergebnis ist, dass ich durch die Umstellung auf einen Barfuß-ähnlichen Laufstil eigentlich alle orthopädischen Probleme los geworden bin.

    Ich hatte schon vorher einen Knorpelschaden hinter der Patella, der mir Schwierigkeiten bereitete und nach zwei Außenbandrissen musste ich auch noch arg aufpassen, nicht erneut umzuknicken. Sowohl die Knieprobleme (nicht der Schaden natürlich) als auch das schwache Sprunggelenk sind Geschichte. Barfuß kann man eigentlich gar nicht umknicken.

    Barfuß-ähnlich schreibe ich, weil es mir das Barfußlaufen zum richtigen Laufstil verholfen hat und ich ihn beibehalten habe. Nur laufe ich heute kaum mehr richtig Barfuß, dafür aber fast ausschließlich in Minimalschuhen. Ist einfach altagstauglicher.

    Das Maximum an Schuh, was ich heute noch bei langen Asphaltläufen nehme (kommt kaum mehr vor), ist ein Brooks Pure Flow, der schon gut 1000km runter hat 😉

    Ansonsten nur noch 0-4mm Sprengung und minimale Dämpfung (Merrell, inov8).

    Beste Grüße
    Vom FlowRunner

    • Hallo FlowRunner, „Barfuß-ähnlich“ gefällt mir, da ich mich ja auch gerne an Begriffen wie „Barfuss-Schuhe“ störe. Wahrscheinlich ist es letzlich ein Mix aus gesundem Laufstil und massvollem Training was uns verletzungsfrei laufen lässt. Wenn ich das richtig zwischen den Zeilen bei dir lese, dann bist du ja auch schon ein paar Jahre länger unterwegs. Umso schöner von euch „alten Hasen“ hier bestätigende Kommentare zu bekommen. Beste Grüße, Oliver

      • Nicht so lange wie Margitta, aber mein erster Marathonlauf liegt immerhin schon 17 Jahre zurück 🙂 …aber ich lerne fast jeden Tag neues dazu. Schau mir z.B. gerade den umfangreichen Blog von haasky an.

        Gruß vom FlowRunner

  3. Hi, Oliver, das hört sich gut an, du machst, soweit ich das beurteilen kann, alles richtig, vor allem langsam aber stetig, übernimmst dich nicht dabei. Und genau das ist der Punkt. Lese von unvernünftigen Läufern, die von heute auf morgen umgestiegen sind und es bitter bereut haben.

    Auch ich bin schon lange auf dem Weg dahin, ganz ohne “ Material “ an den Füßen ist nicht mein Ziel, aber zumindest mit wenig, kann mir nicht mehr vorstellen, mit einem schweren, stark gedämpften Schuh unterwegs zu sein.

    • Hi Margitta, danke, schön sowas von dir zu lesen. In unserer schnellen Zeit wollen viele Menschen „jetzt sofort“ Resultate, kein Wunder wenn das dann schiefgeht. Ich nehm mir die nötige Zeit, muss niemanden etwas beweisen. Und es macht auch vielmehr Spaß schrittweise den eigenen Fortschritt zu erleben.
      Dein Newton Bericht war übrigens der Auslöser für mich, mal runterzuschreiben was grade mein Stand der Dinge ist. Spricht dann auch sehr für dich, nach so vielen erfolgreichen Lauf-Jahren immer noch neugierig auf Änderungen zu sein.